Mahan Esfahani: Der Meister der Entgrenzung

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Das Verfahren, das der in Teheran geborene Cembalist Mahan Esfahani bei seinen Konzerten etabliert erschließt sich schnell. Zentrum ist stets der von ihm hochverehrte Johann Sebastian Bach. Von diesem ausgehend wagt er sich aber so weit fort von diesem Mittelpunkt wie wenige Cembalisten derzeit.
Erstaunlich dabei ist vor allem, dass Esfahani damit nicht primär belegt, dass J.S. Bach der ewige und unverrückbare Meister ist, sondern dass sich mit diesem als Weggefährten ganz tief in die zeitgenössische Musik eintauchen lässt, ohne den roten Fäden zu verlieren und die Kohärenz in Sachen Programmgestaltung auf das Spiel zu setzen. Damit hebt er Bach nicht auf ein Podest, zeigt aber, dass sich der alte Meister hervorragend dazu eignet, Disparates zusammenzuhalten und abenteuerliche Ausflüge in unbekanntes Terrain zu motivieren und zu legitimieren.
Auch wenn man Esfahani so auf die Spur kommt bereitet einen dennoch nichts vor auf die schiere musikalische Brillanz seiner Konzerte vor. Wie er Verfahren zu Konzepten gerinnen lässt und wie er diesen Konzepten ein schlüssiges Programm abringt, ist nichts weniger als spektakulär.
Nach dem Konzert, das inklusive der obligatorischen Pause und verpflichtender Zugaben nicht länger als zwei Stunden in Anspruch genommen hat, hatte man das Gefühl ganze Musikwelten betreten und erlebt zu haben. Reichhaltig benennt nur unzulänglich, was einem zu Ohren kam und vielfältig ist eine unzureichende Beschreibung. Es war eine Odyssee, eine abenteuerliche Reise mit ungewissem Ausgang, bei der man sich aber durch Esfahani stets gut begleitet fühlte. Ihm folgte man unbekümmert und überraschend wagemutig auch hin zu den schwierigsten Experimente und komplexesten Musikwelten.
Wenig verwunderlich begann Mahan Esfahani seine Reise auf Einladung von „Jeunesse“ im nicht ganz gefüllten Saal des Innsbrucker Konservatoriums mit Johann Sebastian Bach. Hier bemühte sich Esfhani den Rahmen auszufüllen, mit leichten Überschreitungen aber in die Gegenwart zu hieven. Virtuosität diente ihm dabei niemals zur Selbstdarstellung oder gar dazu um eine Mahani Ego-Show zu inszenieren. Er diente vielmehr ganz dem verehrten Vorbild, beleuchtete aber wirklich jedes noch so kleine Detail der Komposition. Danach war man vorbereitet und auf alles gefasst.
Mit „Rounds“ von Luciano Berio machte sich Esfahani auf eine neutönende Zukunft zu betreten, die mittlerweile auch schon wieder der Vergangenheit angehört. Das 1965 komponierte Stück, das vor allem durch seine extravagante Spielanweisung auffällt, klingt auf fast schon vertraute Weise nach klassischer Neuer Musik der Nachkriegszeit. Dennoch war erstaunlich, wie Esfahani das Stück zu klingen brachte und vor allem welche Spielweisen und Klänge er seinem Instrument abtrotzte. Das anfängliche Unbehagen im Publikum wich einer unbändigen Begeisterung und frenetischem Applaus nach dem kurzen Stück.
Auf dieser Euphorie-Welle surfte er weiter zu „L´Africaine“ von Kevin Volans. Eine „Weltpremiere“, wie Esfahani verriet. Er hatte das Stück in dieser Form noch nicht aufgeführt gehabt. Es geriet zu einem Triumph der vertrauten Fremdartigkeit, die darin begründet lag, dass der Komponist sich für diese Werk von afrikanischen Kompositions-Methoden inspirieren ließ. Auch das Naheverhältnis zu Minimal-Music war stets hörbar und auch spürbar. Selten hat man Menschen in diesem Rahmen kopfnickend dem Groove eines Cembalos beiwohnen sehen.
Nach der Pause kam Esfhani wieder zurück zu vertrauteren Gebieten. Die „Englische Suite Nr. 4 F-Dur“ von J.S. Bach stand auf dem Spielplan. Nach den vorangegangenen Ausflügen hörte man Bach anders, moderner, zeitgenössischer. Das war wohl auch die Intention des großartigen Cembalisten: Mit dem „Neuen“ lässt sich das „Alte“ anders lesen und mit dem „Alten“ verändert sich der Blick auf das „Neue“. Dadurch entstehen überraschende Verbindungen und Querverweise.
Daraus folgt letztlich die Erkenntnis, dass Begrenzungen und Grenzen nicht existent sind. Auf dem Cembalo lässt sich alles spielen, sagt Esfahani schließlich des Öfteren und meint es nicht als Witz. Es ist mehr möglich, als man gemeinhin annimmt. Es braucht „nur“ unbändige Musikalität, intellektuelle Kühnheit und eine gehörige Portion Mut. Dann gelingen auch Konzerte wie das montägliche von Mahan Esfahani, das zu abschließenden Jubelbekundungen führte und glückliche, bereicherte Menschen generierte.  Esfahani ist ein Meister der Entgrenzung, der Menschen grenzenlos begeistern kann.

Titelbild: (c) Markus Stegmayr

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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