Schöne neue entzauberte Welt

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Vieles wurde bereits gesagt. Über die Liebe. Eher verschwiegen. Es ist kein Zufall, dass ein Text über die wahre Liebe wenig eloquent ist und kaum den Diskurs darüber aufmacht, was Liebe nun wirklich ist, war und in Zukunft sein könnte.
Unser Denken über Liebe, Partnerschaft und Sexualität ändert sich und ist dem Zeitgeist unterworfen. Gab es früher Denkmuster der romantischen Liebe, die den Einen und die Eine glorifizierten, sind wir heute im Zeitalter der seriellen Monogamie angekommen. Ewige Liebe ist out.
Diese Entwicklung ist nicht willkürlich. Sie hängt ursprünglich mit den Tendenzen des spätkapitalistischen Systems zusammen. Dinge, die nicht mehr funktionieren, werden weggeworfen und ausgetauscht. Eine Partnerschaft, die uns nicht mehr erfüllt, wird beendet. Wir gehören zur Generation „Next“. Bei den ersten „Mangelerscheinungen“ in einer Beziehung, bei der ersten Unzufriedenheit, denken wir daran, dass da draußen der perfektere, bessere, passendere Partner auf uns warten könnte. Wir möchten nichts verpassen. Lebe lieber ungewöhnlich und langweile dich auf keinen Fall.
Dagegen wäre nichts zu sagen. Es ist evident, dass gesellschaftliche Umstände, Wertesysteme und politische Konstrukte das Private beeinflusst haben und auch im Heute beeinflussen. Problematisch wird es lediglich, wenn sich zwei Denksysteme überlappen. Wir wechseln nicht nur von Partner zu Partner, weil wir uns langweilen und die Beziehung als mangelhaft und als auszutauschend empfinden, sondern weil wir die „wahre Liebe“ anderswo vermuten. Wir hängen, obwohl uns fast jegliche Metaphysik der wahren Liebe ausgetrieben wurde, immer noch diesem Denksystem an.
Die „wahre Liebe“ wurde grundlegend entwertet, als Utopie und metaphysische Konstruktion entlarvt. Eine erfüllende Sexualität wird zu bloßem Sex. Erotik zu Pornographie. Lediglich die Liebe wurde noch kaum dekonstruiert. Folgerichtig in diesem Denksystem wäre es hingegen die „Liebe“ als rein körperliche und chemische Reaktion von zwei Menschen und Körpern zueinander zu beschrieben, die nur temporär funktioniert. Dennoch quälen wir uns mit dem Gedanken, dass es mehr geben muss. Den Einen. Die Eine. Dasjenige, das über diese rationale und allzu sachliche und funktionelle Ebene hinausgeht.
Das eigentlich aus der Zeit gefallene Denken der „wahren Liebe“ bricht somit in unsere streng rationale, durchorganisierte und entzauberte Welt herein. Sie gleicht einer Wiederverzauberung der Welt. Die „wahre Liebe“ bringt Diskurse zum Stocken, bringt den Wahnsinn und das Irrationale zurück in ein rationales Denken der sachlichen Beurteilung, welche Beziehung funktioniert und welche nicht. Dem rein funktionalen Denken, das Dinge und Beziehungen austauscht, wenn sie nicht mehr funktionieren, wird ein metaphysisches Denken gegenüber gestellt.
Wenn eine Beziehung temporär wenig erfüllend ist, dann ist das mit diesem Denken betrachtet nur eine temporäre Erscheinung. Der Partner ist für uns bestimmt, mit uns seelenverwandt. Wenn es im Moment nicht rund läuft, dann aufgrund von Umständen, die außerhalb der sich Liebenden liegen. Es gilt diese Umstände wieder aus dem Weg zu räumen, damit die zwei liebenden Seelen, die füreinander bestimmt sind, wieder zu sich finden.
Es wäre sehr einfach, sich über diese Denkmuster lustig zu machen. Doch was bleibt übrig, wenn diese weg sind? Richtig. Erotik, die auf Pornographie reduziert wurde. Sinnlichkeit, die auf bloßen Sex hinaus läuft. Liebe, die mehr Chemie als Seelenverwandtschaft ist. Übrig bliebe eine schöne, neue, entzauberte Welt. Ohne wahre Liebe, ohne Erotik, ohne Wahnsinn und Irrationalität.

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Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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