Wenn die Spießer Innsbruck übernehmen und geile Clubs schließen

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Ich bin ein Spießer. Erst neulich fühlte ich mich von einer Studentenparty in der Nachbarschaft gestört. Gegen 2:00 morgens beschlossen die studierenden Männlein und Weiblein, dass es Zeit war die Wohnung zu verlassen und lautstark und betrunken auf der Straße vor meinem Schlafzimmer über Nichtigkeiten zu diskutieren. Mit meinem wohlverdienten Schlaf war es damit vorbei, zumal die Diskussionen nicht abreißen wollten.
Ja, ich rief die Polizei. Ja, man hätte auch das Gespräch suchen können. Aber nein, ich hatte keine Lust mit 20-jährigen zu dieser Uhrzeit zu diskutieren. Die wenigen Stunden bis zum Aufstehen schlief ich schlecht. Gewissensbisse plagten mich. Ich hatten diesen jungen Menschen und zukünftigen Eliten unserer Gesellschaft den Spaß verdorben.
Meine Spießer-Werdung hatte begonnen als ich Vater wurde. Plötzlich hatte ich das unerklärliche Bedürfnis jungen Burschen die Meinung zu sagen, die später als 22:00 mit dem Moped in überhöhtem Tempo vorbeibrausten und die Kinder aufweckten. Gar nicht auszumalen außerdem, wenn in unserer ruhigen Gasse ein Kind aus dem Haus geht und von einem solchen Moped erfasst wird! Mit meinem damaligen „ernsten Wort“ habe ich zweifellos die Adoleszenz der Innsbrucker Landjugend nachhaltig gestört.
Es gab also Zäsuren. Insgesamt war es aber ein langwieriger Prozess. Langsam, fast unmerklich für mich selbst saß ich wenigen Jahre später in Konzerten, die spätestens um 22:30 zu Ende waren. Die Musik, die in dieser Zeit gespielt wurde ist über die Jahre immer ruhiger geworden. Das Publikum um mich herum ergraute. Statt Schildkappen sah ich bald Halbglatzen. Während anderswo wilde Partys gefeiert wurden bleib ich zuhause und ging möglicherweise noch gerade mal zum Wirt um die Ecke.
Es tut weh, das zu erkennen. Ich bin zu einem Menschen geworden, der mitverantwortlich ist, dass in Innsbruck reihenweise geile Clubs schließen. Ich bin ein solcher Mensch, der in der Nacht die Polizei verständigt, wenn die Musik zu laut ist und das Publikum nicht schweigend nach Hause geht. Ich bin schuld daran, dass Innsbruck wieder zur Provinz-Stadt werden wird. Ich muss mir weiters den Vorwurf gefallen lassen mitschuldig daran zu sein, dass die super-coole Band gar nicht mehr nach Innsbruck kommt, weil schlicht und einfach keine passenden Konzert-Locations mehr existieren.
Jetzt haben wir den Salat und die Entwicklung ist irreversibel. Innsbruck geht den Bach runter. Ich hätte den Unterschied machen und mich mit den jungen Menschen der Stadt solidarisieren können. Stattdessen habe ich mich von ihnen entfremdet und ihnen den Spaß verdorben. In wenigen Jahren werde ich einer von den langweiligen grauhaarigen Männern sein, die bei klassischen Konzerten einnicken. Was hat mich bloß so ruiniert?

Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

3 Comments

  1. Was meinst du, wie Innsbrucks Kulturleben erst veröden würde, wenn die nicht-Jungen nicht mehr zu Konzerten gehen würden? Die leisten sich nämlich den Eintritt zu einer Vielzahl und Vielfalt von Veranstaltungen und sichern so den Fortbestand von Spielorten und Performern.
    Und Leute, die einer geregelten Arbeit nachgehen (egal wie alt), profitieren von Veranstaltungen, die nicht erst gegen 22 Uhr oder noch später beginnen.
    Spießerin + proud of it!

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