(c) Walter Klier

Das Schimpfen im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

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Da hat ein Tiroler Landesrat sich danebenbenommen. Auf dem Platz vor dem Landhaus, mit etlichem Volk rundherum, bezeichnete er eine Tiroler Umweltaktivistin, die ihn anscheinend nicht ausreden ließ, halblaut, aber für das Mitfilmen mit dem Handy hörbar genug als „widerwärtiges Luder“. Mehr weiß ich als Tiroler Medien-Abstinenzler davon nicht, außer daß dieser Ausdruck seither eine überregionale Karriere hingelegt hat. In den Nachrichten und auch anderen Sendungen auf Ö1 wurde er so oft wiederholt, daß er mir die längste Zeit im Kopf herumging.

Und so sinne ich nun darüber nach, was sich der nun ordentlich vom Mob der Fortschrittlichen gehetzte Herr da so gedacht haben mag. Dabei fiel mir unter anderem ein, daß das inkriminierte Hauptwort früher in der Kletterersprache verwendet wurde: „Die Angst isch a Luader.“ Es wird in der „Bauernsprache“, wie unsere Kinder einmal den Dialekt so schön umschrieben haben, für Tier oder Mensch verwendet, die listig, lästig, umtriebig etwas irgendwie wesenhaft Unbesiegbares an sich haben. Es wäre also in der traditionellen Dialektzone durchaus vorstellbar für eines dieser verbal haushoch überlegenen weiblichen Wesen, von denen der (naturgemäß „frauenfeindliche“) Volkmund früher sagte: „Bei der muasch es Maul separat derschlagen.“ Da hat das „Luder“ etwas durchaus widerwillig Anerkennendes an sich. Meistens ist es ein weibliches Wesen, sonst müßte man etwa sagen „Der Hund isch a Luader.“

Wieso der besagte Politiker aber das Wort „widerwärtig“ verwendete, das nach meinem Dafürhalten ein hochdeutsches ist, also in der Bauernsprache gar nicht vorkommt, und nicht etwas Bodenständiges, auf das man sich dann auch viel leichter hätte hinausreden können als Beitrag zur Folklore? Das muß uns wohl auf immer ein Rätsel bleiben ebenso wie der Umstand, daß ein altgedienter Politiker sich von einer solchen „Aktivistin“ überrumpelt fühlte. Er muß der Spezies schon gelegentlich begegnet sein und wußte, was er zu erwarten hatte, wenn er sich auf einen Wortwechsel mit ihr einließ. Auch daß man so schieche Sachen heutzutage bei Strafe des endgültigen Scheiße-Sturms und Gefahr der politischen, ja existentiellen Vernichtung nicht mehr sagt, egal, was einem gerade so in der Zwerchfellzone in aufsteigender Richtung herumbrutzelt, weiß er doch längst.

Die Lage ist nämlich eben die, daß infolge der technischen Umwälzung, die uns die Allgegenwart und Allverfügbarkeit von Aufnahme- und Wiedergabegeräten beschert hat (ein alter Menschheitstraum!), diese bisher übliche Angewohnheit oder Unsitte, jemandem, gegen den man kein Laibchen hat, halblaut nachzumaulen, für jedermann und jederfrau und jedersonstigen oder -sonstige, die auch nur ein bißchen im Licht der Öffentlichkeit stehen oder stehen könnten, einfach nicht mehr gangbar und somit auf der Stelle einzustellen ist. Ein glattes Wunder, daß ohne seinen Rechtsanwalt überhaupt ein Mensch noch etwas sagt, zumal ein Politiker, und nicht nur das. Da treffen sich welche mit original russischen „Oligarchennichten“ und plaudern nächtelang alles aus, was sie dann prompt Kopf und Kragen kostet.

Zurück zum halblauten Nachschimpfen. Auch das hatten wir ja mittlerweile öfter. Da war ein Bundeskanzler, der ein hohes Tier der Finanzwelt mit „eine richtige Sau“ tituliert haben soll, und mit einem Landeshauptmann ist doch auch etwas mit einem dingfest zu machenden „Schwein“ gewesen, wenn ich mich recht erinnere. Die Lage wird dadurch verschärft, daß nach dem heutigen, informell gültigen Recht Aussagen verschieden gewichtet werden, je nachdem, wer sie tätigt. So würde es dem Landesrat im Grunde nicht einmal etwas nützen, wenn es keinen Mitschnitt von seiner Entgleisung gäbe und er diese rundheraus leugnete. Das heißt kurz gefaßt, daß alle, die irgendwelchen unterdrückten Minderheiten angehören, also alle außer den alten weißen Männern, behaupten können, was sie wollen, und den alten weißen Männern so oder so kein Wort geglaubt wird. Aber das, so scheint mir gerade, führt jetzt zu weit, nämlich mindestens in eine andere Glosse.

Walter Klier, geb. 1955 in Innsbruck, lebt in Innsbruck und Rum. Schriftsteller und Maler.
Belletristik, Essays, Literaturkritik, Übersetzungen, Sachbücher. Mitherausgeber der Zeitschrift "Gegenwart" (1989—1997, mit Stefanie Holzer). Kommentare für die Tiroler Tageszeitung 2002–2019.
Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a.: Grüne Zeiten. Roman (1998/Taschenbuch 2014), Leutnant Pepi zieht in den Krieg. Das Tagebuch des Josef Prochaska. Roman, 2008. Taschenbuch 2014). Der längste Sommer. Eine Erinnerung. 2013.
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