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Wer braucht in Zeiten von Fake News noch Romane?

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Und zu allererst: Brauchen wir überhaupt noch Bücher? Ich glaube: Ja. Immerhin gibt mir die Form des Buches und seine Deklaration als Roman oder Sachbuch oder was immer die taktile Sicherheit des jeweiligen Grades von Fiktion. Ich kann mich lustvoll in diese mal mehr, mal weniger erfundene Wirklichkeit hineinfallen lassen und jederzeit — beim gedruckten Buch auch physisch durch das Zuklappen der Buchdeckel — wieder heraustreten und in meine ureigene Realität zurückkehren.

Im Internet dagegen falle ich zurück in die mittelalterliche Situation des Dorfplatzes mit Moritatensängern und deren Mischmasch aus Nachrichten und Erfundenem. Das hat zwar denselben Unterhaltungswert wie Roman-Lektüre. Aber die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion verschwimmt. Auch ist die Aufnahmegeschwindigkeit eine andere. Bei der Buchlektüre kann ich innehalten, überlegen, zurückblättern, überspringen. Im Internet könnte ich das auch, tue es aber so gut wie nie.

Und was ist mit der sogenannten reinen Unterhaltungsliteratur? Brauchen wir denn die noch?  Krimis und Detektivromane, zum Beispiel, die werden vom Leser ebenso wie von der Literaturwissenschaft sowieso nicht ernstgenommen, weil die dargestellten Verbrechensserien und ihre Aufklärer meist gar zu abstrus sind. Solche Romane sind ja nichts als billige Lügengeschichten und daher nichts für ernsthafte Menschen. Dieselben ernsthaften Menschen fallen aber auf die billigsten Fake-News von selbsternannten Aufklärern über diverse noch abstrusere Verbrechen im Internet lustvoll herein. Das macht es selbst dem Unterhaltungsschriftsteller heute schwer gegen die Konkurrenz anzukommen.

Er sollte ja Geschichten erfinden, die die Menschen lesen und genießen und dann als Literatur abhaken können, aber trotzdem danach nicht ganz vergessen. Doch die allerschönsten und allerunwahrscheinlichsten Erzählungen kursieren heutzutage in den sozialen Medien. Und die werden im Gegensatz zur literarischen Erfindung ernstgenommen, allerdings dann sofort über der nächsten noch tolleren Geschichte vergessen. Da gibt es Weltverschwörungen, gegen die ist jeder Krimi-Plot fantasielos. Der Leser des einfachsten Detektivromans wird beim Lesen zumindest mitraten, wer der Übeltäter sein könnte, indem er sich fragt, welche der Figuren Motiv und Gelegenheit hatte. Bei den haarsträubenden Geschichten in den sozialen Medien fragen sich viele Leser dagegen offenbar gar nichts mehr.

Überhaupt ist bei manchen Nutzern der Social Media der Wille, das Erzählte für bare Münze zu nehmen, so groß, dass man sich schon fragt, ob es gescheit war, die Literaturinterpretation aus der Deutsch-Matura fast ganz zu eliminieren. Mit den Mitteln der Interpretation wäre es immerhin möglich, Fiktives als solches in seiner Vielschichtigkeit zu erkennen und dann auch zu deuten.

Ob es in Zukunft noch Schriftsteller brauchen wird, die Geschichten erfinden, kann ich nicht beantworten. Aber zumindest ausführlicher Literaturunterricht wird nötiger sein denn je.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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