Heimkommen kann nur wer weggeht

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Ja ich bin gerne zuhause, ich liebe die Berge und dass ich meine Familie und Freunde um mich habe. Doch immer wieder wird es mir hier einfach zu eng, dann schwirren die zahlreichen Gedanken so schnell und ungeordnet durch meinen Kopf, dass ich den einen schon vergessen habe, noch bevor der nächste überhaupt erst entsteht. Mein Bauchgefühl zieht mich in die Ferne, weit weg von allem Bekannten. Ich will Neues erleben, interessante Menschen treffen, verschiedene Orte sehen. Dann muss ich weg. Einfach weg. Und wohin war diesmal Berlin.
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Als ich nach langer Fahrt endlich aus dem Auto stieg und einen ersten Blick auf Deutschlands Hauptstadt warf, war ich für einen Augenblick einfach nur glücklich. Ich fühlte mich endlich wieder frei. Meine Lungen bekamen wieder Luft zum Atmen und ich spürte das Herz in meiner Brust pochen. Die Größe und Hektik der Stadt spiegelten meine Gedankenwelt wieder und hatte eine belebende Wirkung auf mich. Ich startete direkt los – so mache ich das immer wenn ich irgendwo das erste Mal hinkomme. Einfach etwas durch die Gegend spazieren, sich mit dem Ort vertraut machen und schauen wo einen das Reiseschicksal einträgt. So habe ich schon wundervolle, versteckte Plätze und Dinge entdeckt.
Vorbei an kleinen hippen Läden, wunderschön grünen Parks und bunt besprühten Hauswänden, spazierte ich also durch die große Stadt. Bald merkte ich, wie vielfältig Berlin sein kann. An der einen Ecke spielen fröhliche Kinder in Parks, umgeben von sandfarbenen Altbaubauten und an der nächsten Ecke wechseln sich mit Graffiti besprühte Plattenbauten, mit zwielichtigen Gestalten ab. Ich kam schließlich an einem Flohmarkt vorbei und schlenderte durch die Stände. Antiquitäten. Selbstbedruckte Jutebeutel. Secondhand Mode. Alte Bücher und Schallplatten. Dann kam ich mit einem der Verkäufer ins Gespräch. Wir unterhielten uns eine Weile und er erklärte mir was Berlin seiner Meinung nach so besonders mache. Es sei das Unfertige, der stetige Wandel und die vielen Gesichter der Stadt. Außerdem liebe er die Internationalität, die offene und ehrliche Art der Menschen und die Vielfalt an Kunst und Kultur. Dem konnte ich nur zustimmen, die Stadt hatte etwas ganz Besonderes an sich, ich spürte die Lebendigkeit und Energie und den Drang mich einfach in der Anonymität der Metropole fallen zu lassen.
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Glücklich über das Gespräch und die gewonnenen Schlüsse zog ich weiter. Langsam bekam ich Hunger, Zeit also für eine original Berliner Currywurst. War auch nicht schwer einen Currywurststand zu finden, die gibt es in Berlin praktisch an jeder Ecke. Die Dame hinter den brutzelnden Würsten, wohl eine Ur-Berlinerin, war recht direkt und nicht gerade höflich. Aber ich bekam meine Currywurst nach einigen kommunikativen Missverständnissen („Ich hätt gern ein Sackerl dazu.“ – „Wat hätten Sie jerne?“ – „Ähm eine Tüte bitte.“) dann doch noch. Die war dann aber auch gar nicht so spektakulär – eine Wurst mit Soße eben, aber geschmeckt hat sie trotzdem. Frisch gestärkt ging es wieder weiter. Nach dem Abklappern der typischen Touristen Checkpoints wie dem Brandenburger Tor hatte ich wieder Lust auf etwas Alternativeres. Ich kam an einer Gruppe von Straßenmusikern und Tänzern vorbei. Das liebe ich an größeren Städten am meisten, an jeder Ecke ist etwas los, Abwechslung ist garantiert. Das fehlt mir leider oft in Innsbruck.
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Ich querte die Straße an einer Ampel mit dem typischen Berliner Ampelmännchen, stieg in die U-Bahn ein und fuhr zur East Side Gallery. Die muss man ja gesehen haben, stand zumindest in meinem Reiseführer. In der U-Bahn ging es äußerst hektisch zu. Drängelnde Mitfahrer, schreiende Kinder und vom hinteren Teil des Wagens tönte laute Technomusik. Ich war froh als der unterirdische Zug meine Haltestelle erreichte und ich aussteigen konnte. Nun schlenderte ich also die bunt bemalten Reste der Mauer entlang, vorbei an einer Demonstration zu Demonstrationszwecken bei der sich eine junge Frau von ihren Freunden an die Mauer kleben ließ, weiter an zahlreichen Hütchenspielern und Musikern vorbei und versank schließlich wieder in meinen Gedanken. Ich brauchte eine Pause, langsam wurde es mir hier zu laut, zu viele Menschen waren um mich herum. Ich suchte mir ein ruhiges Plätzchen an einem Seitenkanal der Spree. Wasser hat eine beruhigende Wirkung, zumindest auf mich. Hier konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen und erstmal etwas abschalten. Ich lies die Zeit in Berlin Revue passieren und dachte an alles was ich schon gesehen und erlebt hatte. Nach und nach begann ich die Stadt sogar richtig zu mögen. Ja man kann sagen, die direkte Art der Berliner und das ungeschönte, vielfältige Stadtleben hatten ihren eigenen Charme. Es inspirierte mich und gab mir neue Energie.
Und trotzdem war ich froh als es Sonntag gegen Mittag wieder Richtung Zuhause ging. 9 Stunden Autofahrt und 3 Staus auf der Autobahn später stieg ich in Innsbruck aus dem Auto und war glücklich und das nicht nur für einen Augenblick. Ich reise für mein Leben gerne und konnte auch auf dieser Reise wieder sehr viel mitnehmen. Berlin inspirierte mich und gab mir Kraft und Lust auf Neues. Die paar Tage zeigten mir, dass die Welt nicht abwechslungsreicher sein könnte und dass jeder Ort seinen eigenen Charme hat. Und doch gibt es keinen Platz auf dieser Welt an dem ich mich auf Dauer wohler fühle als zuhause. Auch wenn Innsbruck auch am Tag meiner Rückkeher im Grau begraben lag – so gilt trotzdem: „Dahoam ist eben dahoam“.

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