Foto von Iwona Castiello d'Antonio auf Unsplash

Brenner-Visionen

5 Minuten Lesedauer

Wir sind ja allerhand Zores gewöhnt mit dem Brenner, der kein wirklicher Burner mehr ist. Aber vielleicht wird er das ja wieder?

Früher, ja, früher war das noch anders. Da wurde die Europabrücke, ihrem großen Namen gemäß, mittels Weihrauch, Blasmusik und Schützen freudig eingeweiht. Man feierte die höchste Brücke Europas, den welthöchsten Brückenpfeiler und überhaupt die schönste Autobahn weit und breit! Außerdem die beliebteste Schmuggelroute für Rotwein und Grappa. Europas Frächter wälzten feuchte Träume von zukünftig noch zünftigerem Verkehr. Doch dann …

Der Jubel ist im Dröhnen der Motoren erstickt. Europa fährt durch uns durch und über uns drüber. Uns reicht es schon lange, aber den anderen nördlich und südlich reicht´s noch lange nicht. Also gebar man neue Ideen: Ein Riesenloch durch den Berg! Der längste Eisenbahntunnel der Welt! — Ohne Superlativ geht am Brenner eben nichts.

Und jetzt? Ein Begeisterungssturm? Sehen wir Licht am Ende des Tunnels? Keineswegs. Diese Bahn scheint abgefahren. Denn die EU will demnächst Monstertrucks über die knirschenden Brücken schicken. Die Wiener Regierung ihrerseits plant, den LKW-Verkehr mit einer Wasserstoff-Initiative zu begrünen, also sozusagen mittels einer Wasserstoffbombenerfindung alle Verkehrsprobleme mit einem Schnall zu lösen. Auch unsere Tiroler Elektrizitätserzeuger samt den dazugehörigen Politikern träumen plötzlich vom Wasserstoff, von Kolonnen von Schwerfahrzeugen, aus deren Auspuff nichts als sauberes H2O tröpfelt. Aus jedem Auspuff nur Wassertröpfchen! Ich sehe die Folgen schon als Werbeplakat vor mir: Das Wipptal in winterlicher Nebelwand dem Blick traumverloren entrückt. Die Autobahn bei Minusgraden eine spiegelnde Eisfläche. Die Wiesen und Wälder ein Raureif-Wunderland, gesprenkelt mit lustig bunten Wrackteilen von auf glatter Fahrbahn kollidierten Fahrzeugen.

Auch verspricht diese Antriebstechnik mit ihrem H2O-Ausstoß am Brenner Arbeitsplätze abseits von Outlet-Verkäuferinnen- und Fremdenpolizisten-Jobs zu schaffen: Streuwagenfahrer, Rotkreuz- und ÖAMTC-Helfer, Bestatter, Fahrzeug-Verschrotter. Und der Tourismus bekommt zusätzlich ein bisher unbekanntes, zugkräftiges Sujet, das sich speziell an Klimabewusste wendet:  Brenner-Demos auf Schlittschuhen, Naturerlebnis Nebelpark, und als neuer Superlativ: die längste Winter-Natureislaufbahn der Welt! Im Sommer der schönste Wasserski-Park der Alpen, wo man sich gegen geringes Entgelt an einen LKW anhängen darf und damit dessen Mautgebühr verringert! Dieses von Tourismus und Frächtern gemeinsam erdachte Projekt wird weltweit das erste seiner Art sein. – Ein neuer Superlativ, eine Pionierleistung, wie sie der Brenner, dieser herzerwärmende Ort im Herzen Europas, im Lauf seiner Geschichte immer wieder hervorgebracht hat!

Und in diesen Tagen erlebt der Brenner noch eine neue Vision. Denn aus Sicht des Herrn Salvini muss der Brenner stets für alles und alle geöffnet sein. Gibt dem unsere vielgeliebte EU-Verkehrskommissarin Adina VăleanRecht, so wird sich der Brenner auch noch als ultimativer Stau-Punkt in die Superlativ-Geschichtsbücher einschreiben. Vielleicht bricht dann die marode Lueg-Brücke unter der Last vorzeitig zusammen, von Verona bis München stehen die LKWs, und M-Preis und Spar kaufen im Sonderangebot die Waren von den Ladeflächen auf, bevor alles verrottet. Tiertransporte wird es ab nun nicht mehr geben, bereits auf der Autobahn befindliche Kälber werden notgedrungen freigelassen und tollen zwischen Kufstein und Gries lustig durch die Wiesen, und der Bayrische Möchtegern-König Söder wird sich ausschließlich von heimischem Bier und Weißwurst ernähren, weil Gemüse und Obst aus dem Süden nicht mehr nach Norden durchkommen. Doch für Grünzeug hatte er sowieso nie was übrig.

Und Tirol? Tirol geht einfach in Lockdown, weil keiner mehr zur Arbeit oder zur Schule kommt. Zu Fuß unternehmen wir fröhliche Wanderungen an stehenden LKWs vorbei, vielleicht sogar Prozessionen mit Schützen und Weihrauch oder Dorffeste mit Blasmusik? Und Nachbar in Not sammelt Lebensmittelspenden für die gestrandeten rumänischen Lenker, die endlich einmal zu ihren Ruhezeiten kommen. Kurzum: Alle Probleme Mitteleuropas wird Herr Salvini durch seine Vision vom Brenner mit einem Schlag gelöst haben und der Brenner wird samt Autobahn wieder den Tirolern gehören, nicht nur auf Werbeplakaten und Schriftbildern der Tirol-Werbung. Was für eine Vision!

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.