Bild: Helmuth Schönauer

Gustave Courbet und der Blick der Verzweifelten

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Selbst in Zeiten von Selfie und Wikipedia hängen in öffentlichen Gebäuden immer noch handgemalte Porträts von bedeutenden Persönlichkeiten. Erst wenn zeitgenössische Künstler die sogenannte Bedeutsamkeit mit den Mitteln der Gegenwart gedeutet haben, lässt sich das Antlitz in der Ahnengalerie authentisch einhängen.

Bernd Schuchter gilt als herausragender „Porträt-Schriftsteller“, der gegen den Cloud-Zeitgeist Helden der Kulturszene mit „romantischen“ Mitteln in Essays erblühen lässt. Seine ausgewählten Protagonisten sind Außenseiter, Glanzlichter oder Wegbereiter einer Idee, um die es still geworden ist. Indem der Autor nun mit dem Sound der Gegenwart deren Leben nacherzählt, stellt er jene Facette in den Vordergrund, die am ehesten zeitlos sind. Das Leiden in der Kunst, das Ausgegrenzt-Werden und die falsche Selbsteinschätzung bleiben nämlich durch die Jahrhunderte aktuelle Themen.

Gustave Courbet gilt als Pionier der realistischen Malerei, wegen seiner Lebensführung nennt man ihn freilich den letzten Romantiker. Damit ist auch seine Zerrissenheit beschrieben, denn einerseits gilt er als politischer Mensch, der auf die falsche Karte setzt (wie übrigens in Österreich der literarische Parallelfall Adalbert Stifter), andererseits handelt man ihn in der Kunst der Malerei als Wegbereiter und Visionär.

Als politisches Manifest des Scheiterns wird das Umsägen der Siegessäule am Place Vendome 1871 gesehen. Als Kulturbeauftragter der Pariser Kommune soll er ab jetzt in der revolutionären Epoche für eine neue Art der Kultur zuständig sein und ein neuer Job braucht einen aussagekräftigen Einstand, wie eben die Dekonstruktion eines Denkmals aus der überwundenen Zeit. Ausschlaggebend für die Ernennung zum Kulturbeauftragten ist sein bis dahin bekanntestes Werk „Das Atelier des Künstlers“, worin er die Mal-Situation auf Leinwand bringt, also die gemalten Umstände, in denen Kunst entsteht. Wenn man so will, die Rahmenhandlung für Malerei.

Angespornt von diesem Meta-Motiv, vermarktete er sich gleich selbst, indem er einen eigenen Ausstellungspavillon eröffnet. Mit seinen Gegenausstellungen zur offiziellen Kunst gilt es als Pionier der modernen Selbstvermarktung.
Zu einem realistische Manifest gerät zudem sein Bild von einem „Begräbnis von Ornan“, seiner Geburtsstadt in der Nähe von Besançon. Darin sprengt er die traditionellen Muster der aristokratischen Trauerfeier, indem er das Ganze aufs Land setzt und an der Peripherie die Trauernden irdisch und gleichgestellt werden lässt angesichts des Jenseits, das freilich als Aussparung gemalt ist.

Als die politische Sache mit der Siegessäule schiefgeht, muss er ins Schweizer Exil, wo er seinem Körper durch heftiges Trinken den Rest gibt. Ein großer Künstler braucht auch einen ordentlichen Erbschaftsstreit, den besorgen schließlich seine Schwestern mit gefälschten Testamenten.

In diese plastisch aufgemalte Biographie, wie man sie anstandslos aus Kunstbüchern herauslesen kann, setzt Bernd Schuchter nun kleine Essays, die den Helden als Treibgut verschiedener Reflexionen durch das Buch tragen.
Dabei kommen mannigfaltige Stilmittel zum Einsatz, wie die visionäre Bildbeschreibung, der Rausch eines falsch verstandenen Geniebegriffs oder die Härte eines künstlerischen Alltags, welche ja immer realistisch ist, selbst wenn sie romantisch angelegt ist.

Bernd Schuchter ist in seinen Romanen (z. B. „Föhntage“, „Jene Dinge“) ein ausgewiesener Neo-Romantiker, der mit den erzählerischen Mitteln der Psychoanalyse den romantischen Sound „alltagsgenialer“ Seelen zu ergründen versucht. Beispielsweise werden Schicksale mit dem Gestus einer überhöhten Stimmungslage, wie ihn die Romantik eben anbietet, zu gebrochenen Realisten, die nicht imstande sind, sich mit Selbstironie zu retten. (Die Romantische Ironie ist zum Unterschied von der Selbstironie eine brutale!)

Diese Gedankengänge des eigenen Schreibens lässt der Autor ungeniert und ungebremst in den Essay über Gustave Courbet einfließen. Dass dabei die aufgeschreckten Selbstbildnisse des Malers als Kapiteleinteilungen gelten, gibt der nacherzählten Biographie eine originelle Logik und Festigkeit.

Der Untertitel „der Blick der Verzweifelten“ liefert zudem einen Hinweis, wie diese Biographie geschrieben ist, und wie man sie lesen könnte, um diese aufregende Schnittstelle in den Künsten zwischen Realismus und Romantik zu begreifen.

Bernd Schuchter: Gustave Courbet und der Blick der Verzweifelten.
Wien: Braumüller 2021. 128 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-99200-299-3.
Bernd Schuchter, geb. 1977 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.
Gustave Courbet, geb. 1819 in Ornan, starb 1877 in La-Tour-de-Peilz/Schweiz.

TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2261, geschrieben am 18.02. 2021

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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