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Sitzfreiheit als demokratisches Grundrecht!

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Die Corona-Zeit hat deutlich gemacht, was Innsbruck unter anderem fehlt: Öffentliche Sitzgelegenheiten! Seit Jahren sind sie immer weniger geworden, der Landhausplatz durchasphaltiert, fein für Skater, aber kein Plätzchen mehr, um sich hinzusetzen und den Himmel (oder wahlweise das Landhaus) zu betrachten! Die Studenten hatten zuletzt gerade noch ihre Steine am Innufer. Letzthin wurden ihnen sogar diese untersagt. Die Innenstadt-Fußgängerzonen sind im Sommer zwar gut bestuhlt, aber ein Innehalten ist nur in Kombination mit Konsumation möglich. Die viel zu spärlichen Parkanlagen* sind allerspärlichst mit Bänken ausgestattet. Man soll, so sieht es offenbar die Obrigkeit, auf vorgegebenen Wegen durchmarschieren, vielleicht auch sportlich joggend sich ertüchtigen, aber ja nicht öffentlich herumsitzen. Das könnte die allgemeine Moral zerstören. Sogar am Bahnhof, wo man sich ja nicht unbedingt freiwillig länger als nötig aufhält, wurden die unabdingbaren alten Holzbänke durch unbequeme und ungesund kalte Sitzgelegenheiten ersetzt, sodass man sie gerne meidet. Und das alles nur, weil sich ein paar subversive Elemente wie Jugendliche oder Pensionisten, gratis und so lange sie wollen, darauf niederlassen könnten? Damit sich die Obdachlosen auf dem kalten Boden anderswo unsichtbar verkriechen?  Deshalb dürfen wir alle in der Stadt jetzt nur noch durchhetzen oder, wenn wir schon einmal innehalten, (möglichst eilig) unser Geld ausgeben?

Ich fordere nicht nur Bewegungs-, sondern auch Sitzfreiheit für alle! Notfalls werden wir eine Gegen-Bewegung, einen Sitz-Streik starten müssen. Wir leidenschaftlichen Flaneure und Nichtstuer werden, bewehrt mit Campingsesseln und Sitzstöcken, gegen den steten Bewegungszwang auftreten und uns unseren Raum zurückerobern!

Ich träume von großzügig bestuhlten Parkalleen, wie im Pariser Jardin du Luxembourg, wo man sich einen freien Sessel sucht, ihn mit anderen zusammenstellt oder auf Distanz zu den ringsum Sitzenden geht, sich den Blickwinkel auf die Welt aussucht, ganz wie es einem gerade zusagt. Wo man, so lange man will, ruhen und den Park und die Vorübergehenden oder den Himmel bestaunen kann, wo man so frei ist, Freunde zu treffen und stundenlang zu reden oder zu schweigen, wo man Mitgebrachtes essen und trinken darf und aufstehen und weitergehen, wann immer es einem behagt.

Nichts gegen Gasthaus-Gutscheine, um die arme Gastronomie zu fördern, auch wenn das unsinnig ist, weil diejenigen, die Geld haben, sowieso wieder konsumieren werden und andere ein paar Euro in bar eher brauchten als einen Wirtshausgutschein. Gescheiter und nachhaltiger und in womöglich wiederkehrenden Pandemien nützlicher wäre es, die Stadt würde das Steuergeld in Parkbänke und -Sessel investieren. Da hätten dann alle länger etwas davon.

Garantiert wird jetzt jemand einwenden, dass freistehende Sessel unweigerlich von Vandalen beschädigt werden. Aber dann dürften in der Stadt auch keine Pflanzen und keine Leihfahrräder und keine Weihnachtsdekorationen stehen. Und die Pariser Bevölkerung ist ja bestimmt nicht friedliebender als wir, und dort funktioniert es trotzdem seit hundert Jahren.

Oder, anderer Einwand: Es könnte jemand, der blicklos durch die Stadt hetzt, darüber stolpern und sich verletzen und man wäre dann womöglich haftbar? Und, und, und…! Die Einwände sind sicher endlos. Aber, bevor man sicherheitshalber alles entfernt, was das Stadtleben lebenswert macht, könnten wir wieder lernen weniger zu rennen und mehr zu flanieren? Und man könnte ein bisschen zusätzliches Steuergeld nicht nur für Parkbänke, sondern auch noch für zusätzliche Notschlafstellen und Sozialarbeiter ausgeben?

Für Daniela Ingruber, Demokratieforscherin am Austrian Democracy Lab der Donauuniversität Krems, haben „Demokratien (…) die Aufgabe, Begegnung im öffentlichen Raum zuzulassen. (…) Ein Zuviel an Organisation und Überwachung in diesem Raum verhindert wichtige soziale Prozesse.“ Und weiters: „Die Parkbank alleine hat noch keine demokratische Funktion. Sie erhält sie erst dadurch, dass jemand auf ihr innehält und im besten Fall jemandem begegnet; und wenn es nur ein Lächeln ist, das geteilt wird. Es ist ein Austausch, der in einem Freiraum stattfindet, und ist unverzichtbar für die demokratische Entwicklung.“ **

In diesem Sinne: Keine weitere Einschränkung der Bewegungs- und Ruhefreiheit! Gebt uns die Parkbänke zurück!

*Dazu siehe Alpenfeuilleton, Stadtkater vom 9. Juni: Innsbruck, wir haben ein Platzproblem!

** https://www.dolomitenstadt.at/2019/11/09/demokratie-braucht-begegnung-im-oeffentlichen-raum/   Zuletzt abgerufen 1.6.2020

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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