Drei Tiroler Zehen – abgehackt

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In der schönsten Szene, die man für das regionale Fernsehen aufbauen kann, liegt ein Tiroler Schriftsteller in einem Krankenhausbett und spielt mit dem Buch „Nie wieder Tirol“. Auf dem Bettlaken sind diverse Logos ausgestreut, wir sehen Bank, Bergmilch und Brenner-Outlet und fühlen uns sofort heimisch.

„Jetzt lacht er wieder“, sagt der Literaturredakteur im Off. Normalerweise macht er nur Felix, aber dieser schwere Literatur-Fall heute zwingt ihn dazu, einen ihm fremden Dichter aufzusuchen, damit am Abend was Literarisches im Kasten ist.

Der Dichter darf genau einen Satz sagen, weshalb er diesen gut vorbereitet hat. „Ich habe bei den Schifahrern gesehen, dass man nur ins Fernsehen kommt, wenn man verletzt im Krankenhaus liegt, jetzt habe ich mir drei Zehen abgehackt, weil ich unbedingt ins Fernsehen muss, um mein Buch Nie wieder Tirol zu promoten!“

„Aus“, sagt der Literaturredakteur, „den Rest spreche ich selber“. Die Kamera muss die Werbefläche „Bettlaken“ verlassen und auf das Beistellwägelchen schwenken, wo eine blutrote Stubaier-Axt liegt.

„Wir dürfen nur kurz draufbleiben, weil es sonst als Werbung gelten würde.“

Hinter der Axt schwimmen übrigens in einer Flüssigkeit drei Zehen im Glas. Es ist nicht klar, ob es die Originalzehen des Dichters sind oder Substitute, die man ankleben wird, wenn die bei offener Wunde reparierten Zehen versagen sollten.

Der regionale Einheitssender bringt nicht nur sehr schlichte Beiträge, wenn es um Literatur geht, er stuft auch das Publikum als vollkommen verblödet ein, weil es tagsüber nichts liest. Die einzige Kontaktaufnahme mit Kultur besteht für das Publikum von „Total heute“ in der Sendung „Total heute“.

Der Sender berichtet darin nicht über Literatur, die im Lande geschieht, sondern über jene, die er selber macht. Zu diesem Zweck hat er sich einen Hausautor zugelegt und ihm den Künstlernamen Felix gegeben. Unter diesem Label macht dieser künstliche Autor alles, was so in einem Regionalstudio anfällt: Ehrung, Pressegespräch, Passionsspiel, Volksschauspiel, Beichte, Psychiatrie, Krimi, Sibirien und Krach im Hause Gottes.

Neben den Kurzformen, die täglich als Felix-Tweet eingeblendet werden, gibt es auch epische Formate, das bekannteste ist ein Jahresbericht über die Passionsspiele im Unterland. Zu diesem Zweck ist der Hausredakteur zum Hausdichter gefahren und hat ihn ein Jahr lang gefilmt, wie er das Werden eines Passionsstücks mit einem kruzifizierten Toten inszeniert hat.

Das Publikum hat sich schon längst an diese Mache gewöhnt und sagt zu allem, was nach Fiktion ausschaut, Felix.

Wer ständig mit schlichten Dingen überhäuft wird, wird schließlich selber zu einem schlichten Ereignis. So ist es kein Wunder, dass die ausgelegten Werbepflaster als literarische Botschaften empfunden werden: Bergluft als Gedicht, Käse als Kultur, Outlet als „Ourgasmus“.

Umso heftiger wird jetzt der Beitrag diskutiert, in dem einer nicht Felix heißt, obwohl er ein Buch über Tirol geschrieben hat, nämlich Nie wieder Tirol. (Dem Tiroler musst du immer alles dreimal sagen, damit er es einmal versteht.)

In der Abmoderation wird als Überleitung zum Wetter übrigens erwähnt, dass die abgehackten Zehen offensichtlich geglückt angenäht werden konnten. Darüber wird es morgen einen Bericht geben, aber mit einem echten Primar und nicht mit einem falschen Primaten.

STICHPUNKT 20|22, verfasst am 07. Juli 2020

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

1 Comment

  1. Lieber Heli! Gott sei Dank ist die „Zehen-Annäh-Operation“ gelungen und unser Dichter, der unbedingt ins Fernsehn wollte, ist wieder wohlauf. Eins muss man ja wirklich sagen, die „Knochenbrecher“ von der Innsbrucker Chirurgie sind wahre Teufelskerle. Mein Onkel hat immer gesagt: „Die flicken selbst noch Tote zusammen.“
    Leider habe ich den Beitrag in Total heute nicht gesehen.

    Also was ist mit dem Literatur-Meisterwerk „Nie wieder Tirol“?
    Gibt es das überhaupt?
    Wer hat es verfasst?
    Wo ist es erschienen?
    So viele Fragen rund um drei Zehen.

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