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Nizza: Wenn ein ganzer Kontinent in Hilflosigkeit versinkt

4 Minuten Lesedauer

Ich setze mich gegen 08:00 an den Laptop. Ich lese nicht zuerst die Nachrichten der diversen Online-Angebote von sogenannten Qualitätszeitungen, sondern meinen Facebook-Newsfeed. Menschen sind betroffen. Reden von Nizza und Toten. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, worauf sie Bezug nehmen.
Erste Kommentare trudeln ein, dass wir jetzt noch mehr zusammenhalten müssen und unsere Werte ernsthaft in Gefahr sind. Die Betroffenheits-Maschinerie scheint wieder Fahrt aufgenommen zu haben. Allein an den Formulierungen merke und erkenne ich, dass es ein Anschlag sein muss. Terrorismus. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich eine Terrororganisation zu der Tat bekennt.
Politiker melden sich zu Wort. Sie ermahnen, dass wir jetzt alle Seite an Seite mit Frankreich stehen müssen. Dass wir den Kampf gegen den Terror gewinnen werden. Echte Betroffenheit höre ich keine heraus. Eher schon Hilflosigkeit und eine absurde Form von Trotz. Ganz so als ob ein Kind meint, dass es ganz nach seinem Kopf gehen muss, dabei aber weiß, dass die Ereignisse und die Entwicklungen von Situationen außerhalb seine Einflussbereiches liegen.
Mit den Formulierungen und Phrasen werden ein Wille und eine Klarheit hinter den Worten suggeriert, die sich schnell als heiße Luft erweisen. Die Begriffe zerbröseln, es bleibt Leere. Wir haben keine Antworten, wir haben lediglich Konstruktionen.
Wir gehen davon aus, dass der Terror Einzug gehalten hat in unsere mehr oder weniger friedliche (westliche) Gesellschaft. Wir konstruieren Feindbilder, die sich von außen in unser Innen eingeschlichen haben und die wir jetzt nur bekämpfen müssen, um sie loszuwerden. Wir konstruieren uns homogene Terrororganisationen, die wir nur zerstören und zerbomben müssen, um endlich wieder unsere Ruhe und unseren Frieden zu haben.
Dieser Ansatz ist reduktionistisch. Die Verflechtung ist deutlich komplexer. Der Wahnsinn, die Irrationalität und der Hass sind nicht von außen, etwa durch Migration, zu uns gekommen. Der Wahnsinn und der blanke Hass, der zu tödlicher Gewalt führt, befinden sich mitten unter uns. Sickert ein. Durch Ideologien, Massenmedien, soziale Netzwerke. Es ist denkbar, dass sich Einzelne radikalisieren. Allein zuhause vor ihrem Laptop. Neuen Halt in kruden Ideologien finden und damit der eigenen Vereinzelung und Einsamkeit entgegen wirken wollen.
Wir haben es gerade nicht mit dem homogenen Feind von außen zu tun, der unseren Frieden bedroht und unsere Werte wegbomben möchte. Wir haben es mit Phänomenen der Entfremdung zu tun. Viele ehemalige Migranten fühlen sich fremd im eigenen Land. Haben keinen Platz gefunden unter der Flagge, die eine einheitliche Geschichte und gemeinsame Werte beschwört.
Wir haben es im Heute mit den Folgen von zum Teil misslungenen Identitätsprozessen zu tun. Europa und der „Westen“ haben Ausschlüsse geschaffen. Diese Ausschlüsse, seien es Menschen oder Ideologie, drängen jetzt völlig pervertiert, radikalisiert und von einem irrationalen Hass angetrieben in das „Innere“. Es wurde verabsäumt, das „Fremde“ in das „Eigene“ zu integrieren. Identitäten sind zu starr geblieben, die Vernunft hat sich allzu siegessicher dem Wahnsinn gegenüber gefühlt.
Haben wir also wirklich mit dem Terror und der Gewalt zu leben gelernt? In keinster Weise. Im Gegenteil. Wir halten alles auf Distanz. Mit Ritualen, leeren Formulierungen, Beschwörungsformeln und Konstruktionen von „Wir“ und „Die Anderen“. Dadurch lösen wir nichts, sondern wiederholen die Fehler, die wir in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. Wir bauen weiterhin an starken Dichotomien, anstatt endlich an einer Kultur der Einschlüsse, Vielfalt und Heterogenität zu arbeiten. Das wird unsere Probleme nicht lösen, sondern forcieren.

Titelbild: Rüdiger Stehn

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

2 Comments

  1. Was du über Hass und Wahnsinn schreibst und wo man ihn verorten kann, stimmt wohl und ist gut analysiert. Aber ich glaube nicht, dass man jede Amokfahrt sofort und ausschließlich unter dem Aspekt „Terror“ betrachten muss oder soll. Corinna Milborn hat dazu heute auf fb Gescheites gepostet:
    Zwei Gedanken zu Nizza (aus meiner Analyse zu Cafe Puls):
    1. Vor ein paar Jahren hätten wir das, was gestern Nacht in Nizza geschah, als Amokfahrt bezeichnet und uns als erstes den psychischen und familiären Hintergründen des Täters gewidmet. Heute kamen in der Nacht schon lange, bevor man das geringste über Tat und Täter wusste, offizielle Stellungnahmen, die von einem Terrorakt sprachen. Dsa führt dazu, dass wir die Tat nun vor dem Hintergrund von IS-Strategien beleuchten. Das ist verständlich, vermutlich richtig – und zugleich gefährlich. Ein Amokfahrer wird als psychisch gestörter Verlierer gesehen. Ein Terrorist wird von vielen als Held gefeiert, von Regierungschef als militärisch ernstzunehmender Feind behandelt und löst mit derselben Tat nicht psychiatrische Gutachten, sondern weltpolitische Akte aus (heute, schon mitten in der Nacht, wenige Stunden nach der Tat: Clinton fordert mehr Geheimdienst-Zusammenarbeit, Hollande kündigt verschärftes militärisches Eingreifen in Syrien an, etc). Wenn also jemand sich selbst und die rundherum in die Luft jagen will, ist das wesentlich atttraktiver geworden, es auch zu tun.
    2. Wenn wir beim Terrorismus-Narrativ bleiben, dem ja vielleicht auch der Täter folgte: Dann sind die Reaktionen ebenso bedenklich. Frankreich hat schon im November den Ausnahmezustand verhängt. Er konnte diese Tat nicht verhindern, wurde nun aber um 3 Monate verlängert. Ebensowenig werden die 10.000 Soldaten, die Hollande nun nach Nizza verlegt, eine solche Tat verhindern können. Und auch die Militärschläge in Syrien nützen nichts gegen einen Mann mit einem LKW, der in seiner eigenen Stadt in eine Menschenmenge fährt. Ich verstehe auch hier den Hang, polizeilich und militärisch zu reagieren – Leute, die schon zu Terroristen geworden sind, muss man auch so begegnen. Aber angesichts eines Täters, der bisher nur durch Kleinkriminalität aufgefallen ist, muss man sich doch fragen: Was kann wirklich verhindern, dass Europäer zu Terroristen werden, die aus Hass gegen das europäische Lebensmodell zu töten bereit sind? Was macht man gegen die, die noch nie aufgefallen sind – und bei denen somit die Polizei keinerlei Hinweise und Handhabe hat, aktiv zu werden? Bei der Antwort landen wir bei Prävention: Der Frage, wie man es verhindert, dass eine signifikante Anzahl von Menschen sich nicht zugehörig fühlt und radikalen Religionspredigern lieber folgt, als Fußball zu spielen, ein Bier zum Feierabend zu trinken oder auf eine Party zu gehen. Sogar sosehr, dass manche diese Dinge zerstören wollen. Dann sprechen wir nicht mehr von 10.000 Soldaten, sondern von 10.000 Sozialarbeiter_innen, Lehrer_innen, Job-Centern, Männerberatungen, Vereinen. Hass, Frust und Intoleranz kann man leider nicht verbieten und per Polizei bekämpfen – und man muss trotzdem dringend etwas dagegen tun.

  2. Es ist natürlich ein schlimmes Ereignis. Rational betrachtet ändert das aber nichts an meiner persönlichen Sicherheit. Und wenn dann nur im µ-Bereich.
    Es wird allerdings zunehmende auf emotionaler Ebene diskutiert und politische Entscheidungen getroffen. Das bereitet mir mehr sorgen als ein Irrer der durchdreht. So makaber wie es klingt, was sind schon 80 tote im Gegensatz zu falschen globalen Entscheidungen die Millionen wenn nicht gar Milliarden Menschen treffen?

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