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David gegen Goliath

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Was haben die chinesische Führung und Volkswagen gemeinsam? Sie haben die Menschen mit hochoffiziellen, von Juristen erstellten und angeblich vielfach überprüften Verträgen beschissen.

Es wird also Zeit für einen neuen Negativ-Begriff: den Fake-Vertrag.

Als kleiner Konsument kennen wir das ja zur Genüge, haben dabei aber bisher meistens unserer eigenen Unkenntnis oder Unachtsamkeit die Schuld gegeben, wenn wir wieder einmal auf verbriefte Versprechen hereingefallen sind. Und welche Möglichkeiten sich zu wehren hat man schon als der kleinere (winzig kleine) Vertragspartner? Also nimmt man es schweigend hin.

Deshalb bewundere ich die Menschen in Hongkong, die sich, unter Gefahr für Leib und Leben, dagegen wehrten, dass ihnen die chinesische Regierung die in internationalen Verträgen zugesprochenen Rechte nun weit vor der vereinbarten Zeit streicht. Und ebenso die Arbeiter in Steyr, die sich wirklich solidarisch (d.h. trotz erwartbarer individueller Nachteile) entschieden haben, den Vertragsbruch und die Erpressung der Werksleitung nicht hinzunehmen.

Was aber kann man als betroffener Bürger oder kleiner Angestellter gegen Vertragsbrüchige in unüberwindlicher Machtposition letztlich tun? Die haben schließlich das Recht in Form von Kohorten gewiefter Juristen plus das dazu nötige Kapital auf ihrer Seite. Sie können einen noch so aussichtslosen Prozess zumindest so lange hinauszögern, dass jedem Kontrahenten die Luft ausgeht. Der VW-Konzern ist darin ja schon geübt. Notfalls gibts halt ein bisschen Entschädigung für die Gelackmeierten und zahlt man als Vorstand ein mickriges Jahresgehalt als Strafe, wie schon beim Abgasbetrug. In wenigen Monaten haben die dummen Leutchen das alles wieder vergessen und kaufen brav das nächste Modell. So funktioniert eben Markenbindung. Und zwischen Staaten heißt das Nachgeben des übervorteilten Kleineren: den diplomatischen Dialog, die wirtschaftlichen Beziehungen nicht abbrechen lassen.

Nein, so wird das nie was! Hier brauchte es überall genau diese echte, schmerzhafte Solidarität, und zwar der vielen Kleinen. Da benötigte es neben moralischer Entrüstung über das Benehmen Goliaths auch Durchhaltevermögen und Leidensfähigkeit. Steinchen zum Schleudern hätten wir genug. Wie wär´s zum Beispiel mit einer – nur ganz kurzen — Blockade des Bankverkehrs zwischen Europa und Hongkong, wenn China die internationalen Verträge nicht einhält? Das täte natürlich Banken und Firmen auch hierzulande weh.* Aber dann wanderten vielleicht nicht mehr nur die Bürger Hongkongs in Massen aus (was Peking durchaus gelegen kommt), sondern auch Geld und Geschäftsbeziehungen, auf welche die chinesische Führung scharf ist. Oder: Wenn man bei einem Vertragsbruch durch MAN keine weiteren österreichischen Dienstwagen von der Volkswagengruppe anschaffen würde und Bürger dazu vielleicht noch ein paar tausend private VW-Kaufboykott-Deklarationen im Internet veröffentlichten? Wetten, das würde helfen?

Konzerne und Staaten, selbst wenn sie sich übermächtig stark fühlen, müssten lernen: Wer betrügt, der hat mit Geschäftseinbußen zu rechnen. Und der kleine David, der sich für sein gutes Geld nicht mehr alles gefallen lassen will, muss endlich seinen Mut sammeln, sich aus der Komfortzone herausbegeben und zur Boykottschleuder greifen. Selbst Europa als Ganzes ist im Weltgeschehen nicht mehr der Riese Goliath, sondern inzwischen oft auch David. Und gerade deshalb sollte die Welt sehen: Wir sind zwar verwöhnt und meist nicht sehr leidensbereit, aber bei Vertragsbruch kennen wir keinen Spaß! Sogar wenn wir der schwächere Part sind. Dann schießen wir mit vielen kleinen Steinchen zurück. Und wenn die Goliaths sich zu Armeen zusammenschließen, dann braucht es halt noch viel, viel mehr Davids und viel, viel mehr Steinchen.  Bei MAN ging die erste Runde knapp an David. Oder wurden wir getäuscht? Hat sich Goliath bloß mit einer Scheinvertretung von David auf einen Waffenstillstand geeinigt und den eigentlichen Sieg davongetragen? (Vgl. auch: Der Niki und der Sigi. AFEU vom 21.3.21). David sollte besser die Augen offenhalten und sich nicht in Sicherheit wiegen. Möglicherweise spielt Goliath in der nächsten Runde schon wieder falsch. Wie viele Davids finden sich dann? Sind wir mit der Schleuder dabei? Oder nur als Geldgeber für Goliath?

*Bei jedem Kampf mit einem Riesen besteht die Wahrscheinlichkeit, sich schmerzhafte Verletzungen zuzuziehen, weshalb sich die Volksvertreter des demokratischen Westens trotz aller schönen Reden und Gesetze kaum jemals dazu durchringen. Leider sind unsere Politiker zudem mit den großen Wirtschaftsplayern allüberall enger verbandelt als mit den Bürgern, die sie vertreten sollten, und mit den Gesetzen, die sie selbst beschlossen haben. Also kann man auf deren Handeln in unser aller Namen nicht zählen.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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