Kanada meets Innsbruck. Weltklasse trifft guten Durchschnitt: Ryan MacGrath

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Was macht ein Kanadier in Innsbruck? Er erzählt zum Beispiel bei einem Konzert, dass ihn die Berichte über Kühe, die Menschen angreifen, ängstigen. Diesen Kanadier verschlug es aber vor allem auch wegen seinem Traummann vor ein paar Jahren nach Innsbruck. Dieser Kanadier, Ryan MacGrath, schreibt aber vor allem herzzerreißende Songs, die für Innsbruck eigentlich eine Nummer zu groß sind. Der Kenner aber schweigt, genießt – und freut sich über solche glücklichen Zufälle.
Zuerst ließ er beim gestrigen Konzert im „Spiegelzelt“ vor dem Landestheater in Innsbruck seine Band ein wenig spielen. Er selbst ließ sich noch ein wenig Zeit. Diese Band, von der wir nachher sagen würden, dass sie seine Songs zumindest nicht kaputt gemacht hätten. Und eigentlich eh sehr gut, songdienlich, zurückhaltend und einfühlsam gespielt hätten und nur hin und wieder ein bisschen zu sehr auf Fülle und Masse im Sound statt auf Klasse gesetzt hatten. Diese Band, mit der Ryan MacGrath sein musikalisches Dasein in Tirol und ein wenig darüber hinaus fristete.
Brillante Song-Ideen, grandiose Stimme – aber was fehlt?
Nicht weil die Band schlecht wäre. Aber deshalb, weil sie lediglich als Unterstützter auftraten, als Vollstrecker seiner Ideen, die streckenweise brillant waren. Bedauerlich ist das deshalb ein wenig, weil in sehr vielen Augenblicken des gestrigen Konzertes die Vermutung im Raum stand, dass es nur einen kleinen Schubs, ein paar kleine Beiträge von ein paar Weltklassemusikern bräuchte um diese Songs durch die Decke gehen zu lassen.
In der gestrigen Form reicht ihre Klasse, wenn alle musikalischen Ebenen betrachtet werden, von gut bis hervorragend. Die Weltklasse der Songs, der Stimme und der Performance von Ryan MacGrath bleiben  ein Versprechen auf internationale Klasse, das nicht immer eingelöst wird und von der solide spielenden Band teilweise verhindert wird.
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Die Songs bleiben am Boden der Tatsachen und der durchaus guten spielerischen und technischen Möglichkeiten. Die Band spielt teilweise zu brav, manchmal auch ein wenig grobschlächtig. So als wollte sie Ryan MacGrath stellenweise nach besten Wissen und Gewissen lediglich unterstützen und in anderen Zeitpunkten seinen Sound künstlich aufblasen, damit dieser noch mehr Wirkung entfalten kann. Aus meiner Sicht sind beide Ansätze ein Anzeichen der Tatsache, dass mit Ryan MacGrath ein großartiger Musiker auf der Bühne steht, der seine Mitmusiker aufgrund seiner Brillanz teilweise überfordert und entweder übertriebene Zurückhaltung oder zu gut gemeinte Übertünchung der Songideen provoziert.
Für mich ist es eindeutig: mit Ryan MacGrath stand ein Musiker auf der Bühne, der musikalisch gesehen für Innsbruck eigentlich eine Nummer zu groß ist. In manchen Phasen des Konzertes fühlte ich mich gar an Rufus Wainwright erinnert oder hätte mir Ryan mit Laura Marling oder auch Becca Stevans auf der  Bühne vorstellen können – auf Augenhöhe. Wir waren uns nach dem Konzert jedenfalls einig: Wir hatten einen großartigen Musiker erlebt, der eigentlich auf den großen Bühnen der Welt zuhause sein sollte.
Es war ein beglückender Abend. Einfach schon mal deshalb, weil dieser Mann wirklich Songs schreiben kann und sein „Handwerk“ mehr als nur versteht. Auf der anderen Seite blieb der Nachgeschmack, dass er hinter seinen Möglichkeiten zurückblieb und mit den richtigen Musikern an seiner Seite noch wesentlich mehr musikalische Brillanz erreich könnte. Wenn seine Musiker auf Augenhöhe mit ihm ständen. Das wünsche ich mir für die Zukunft. Ich kann nur jedem raten, sich das enorme Potential von Ryan MacGrath bei dem einen oder anderen Konzert in Innsbruck anzuhören. Ich bin sicher, er schafft den Sprung…

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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