„Bübchen für Alles“ las „Mädchen für Alles“

7 Minuten Lesedauer

Charlotte Roche ist wohl nicht nur in der Literatur eine sehr umstrittene Persönlichkeit. Während sie für die einen eine Figur des neuen Feminismus ist der Alice Schwarzer eher doof findet, ist sie für andere nur eine Ekel-Psychopathin mit Hämorriden. In ihrem dritten Buch „Mädchen für Alles“ schreibt sie über eine Babysitterin die sich für eben „Alles“ zur Verfügung stellt. Und es wäre nicht Roche, wenn „Alles“ nicht auch Sex bedeuten würde…
Chrissi ist Mutter, Haus- und Ehefrau. Sie führt ein Leben wie zig andere. Dass dieses Leben eher langweilig ist, dass das Kind meist nervt, man mit dem Ehemann nicht mehr ehrlich spricht, geschweige denn befriedigenden Sex hat, man die Zeit mit Serien totschlägt und sich ab und an Gedanken macht, wie man seine Nächsten, die einem ja die Liebsten sein sollten, los wird, hört man eher selten. Dafür gibt es Charlotte Roche und ihre Bücher. Egal, ob es um Gerüche von Genitalien geht, die Gefühle die man hat, wenn einem fast die ganze Familie wegstirbt oder simple Gedanken, warum Mobiliar so aussieht, wie es aussieht.  Alles wird in einer locker-flockigen Ehrlichkeit erzählt. Alle Probleme des Alltages werden auf gleicher Ebene abgequasselt. Irgendwie ist man für 237 Seiten im Kopf von Charlotte Roche und bekommt dort mal mehr und mal weniger tiefgründige Hirnwichsereien mit:

„Brüste stören beim Umarmen wie Nasen beim Küssen. Sicher, dass das so gedacht ist, Gott?“
„Okay, heute bin ich alleine, ganz alleine zu Hause. Mag mich ja selber jetzt nicht soo gern. Da bleibt nichts als: Serien!“ (…) Wenn ich denke, ich habe Probleme, dann schaue ich mir jetzt erst mal seine (Anm.: des Seriendarstellers) an.“
 (…) oben an der Decke kräuselt sich der Stuck, das Stuck? Ach, selbst im Kopf funktioniert Grammatik nicht gut.“

Weil Chrissi ihr aktuelles Leben keinen Spaß macht, ist sie auch nicht gut in ihrem „Job“. Sie sagt von sich selbst, dass sie eine schlechte Mutter, Haus- und Ehefrau ist. Also nicht zu anderen, aber fürs Erste weiß sie es für sich selbst. Weil es finanziell möglich ist und ihr Mann sie unterstützen will, besorgt er ein „Mädchen für Alles“. Eigentlich wollte man nur jemanden, der sich um Kind und Haushalt kümmert. Doch im Bioladen bat sich Marie auf einer Anschlagtafel als „Mädchen für Alles“ an.
Marie ist hübsch. Da vermutet Chrissi sofort Hintergedanken bei ihrem Mann. Doch der ist vielleicht schwul. Sagt zumindest eine ehemalige Freundin von Chrissi. Anscheinend hat er ein Penisfoto eines Arbeitskollegen am Handy. Gleichzeitig soll er einige Affären mit Mitarbeiterinnen gehabt haben. Bevor der Ehemann Marie verführt, steigt Chrissi in den Ring, um die Gunst des „Mädchen für Alles“.
Beim Vorstellungsgespräch trifft irgendwie Charlotte Roche auf Charlotte Roche. Das ist sehr unterhaltsam. Es macht die selbstbewussten Frauen aber beide etwas unsicher. Leider wird dieses Spiel nicht weitergeführt. Der Rest des Buches bleibt dann aus Sicht von Chrissi.
Ein großer Teil befasst sich mit dem Tabuthema „gewollte bzw. nicht-gewollte Mutterschaft“. Darf man als Frau sagen, dass man keine Kinder will? Oder noch schlimmer: „darf man bereuen ein Kind bekommen zu haben?“.
Im Laufe der Geschichte bekommt Chrissi eine Postkarte ihrer geschiedenen Eltern. Diese leben nun wieder gemeinsam in Spanien. Das macht Chrissi unendlich wütend, fühlt sie sich doch verantwortlich für die Trennung damals. Und jetzt, wo sie nicht mehr da ist, vereinigen sich ihre Eltern wieder. Chrissi reist mit Marie nach Spanien. So kann sie auf der Reise nun endlich Sex mit Marie haben und zusätzlich noch ihr Kindheitstrauma aufarbeiten. Was dann passiert oder nicht passiert, verwunderte und erschreckte sicher nicht nur mich…

Warum liest man(n) Charlotte Roche?

Die Frau die in jedem Interview erzählt, dass ihre Bücher immer über zwei Jahre im 2-Fingersystem abgetippt werden, ist keine Shakespearein. Manche Sätze sind dermaßen umgangssprachlich, dass man zwei bis drei Mal drüber lesen muss, weil es einfach so weit davon abweicht was man aus Roman kennt. Ich empfehle jedem potentiellen Leser sich vorher Interviews von Charlotte Roche auf Youtube&Co anzusehen. Gefällt einem die Frau und ihre Art, macht man beim Buchkauf sicher nichts falsch. So kam ich auch dazu.
Es ist teilweise auch echt verwirrend dran zu bleiben. Es gibt Passagen, da sind auf einer Seite 10% Inhalt und in 90% erzählt sie, wie sie die Geschehnisse wahrnimmt. Hat man sich dann daran gewöhnt, wechselt es und es passiert über mehrere Seiten mal wirklich fast nur Inhalt. Es ist nicht immer logisch, was uns Charlotte jetzt gerade sagen will, aber auch mein Kopf ist nicht immer logisch.
Letzten Endes lese ich in ihren Büchern ein Plädoyer für eine offenere Gesellschaft heraus. Jeder von uns hat Gedanken, die einem peinlich sind, die manchmal lustig sind und sehr oft einfach nur banal. Aber sie sind da. Warum sie dann nicht niederschreiben oder sagen? Lasstet uns über Tod, Gerüche von Genitalien, ungewollte Mutterschaft und die seltsame Einrichtung unseres Nachbarn reden, zu Beginn vielleicht mal mit dem Partner. Das Leben verabschiedet sich manchmal, riecht komisch, stellt sich anders heraus als erhofft oder ist einfach nur falsch eingerichtet. Aber am Ende darf man auch drüber lachen…

Artikelbild (c) Alexander Heimann/Frankfurter Buchmesse

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