Mein Wutanfall im Plattenladen

6 Minuten Lesedauer

Neulich war es so weit. Es kam zwar nicht zu einem Sturm im Wasserglas, aber zu einem stürmischen Wutanfall in einem Plattenladen. Alles begann mit dem Versuch, das neue Album von Thundercat  zu finden.
Besagter Musiker ist schwarz und bezieht sich unter anderem auf Jazz, R´n´B und Soul. Verdammt noch mal, die Musik ist aber auch tanzbar und Flying Lotus hat einige Tracks auf dem neuen Album produziert. Gemeinhin wird dessen Musik daher von Zeit zu Zeit unter der etwas veralteten Kategorie „Dance“ geführt.
Auch unter „Indie“ sind mir seine Platten schon untergekommen. Schließlich hat dieser mit „Brainfeeder“ selbst ein Label gegründet. Indie ist aber der leerste Begriff von allen, weil er nichts mehr über die Musik an sich aussagt. Obwohl Indie und Alternative oftmals in Plattenläden synonym verwendet werden könnte nichts unrichtiger sein.
„Indie“ meint lediglich die Veröffentlichung von Bands auf sogenannten Indie-Labels, also Labels, die sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt haben. Dass die Bands, die früher auf solchen Labels veröffentlicht wurden und eine gewisse Sound-Ästhetik geprägt haben mittlerweile zum Teil auf riesigen Labels herausgebracht werden bringt alles endgültig durcheinander.
Und „Alternative“: Welche Alternative bitte? Eine Alternative wozu? Die damaligen Gitarren-Bands die sich als „Alternative“ zu allzu glattem Pop aufdrängten sind mittlerweile so alternativlos und langweilig, dass man beim nächsten unterproduzierten Schrammelakkord kotzen könnte und sich glatt den glattgebürsteten Pop einer  Britney Spears als Alternative zurückwünscht. Zu deren neuen Platte kann man wenigsten Sex haben, zu den Alternative-Bands geht nicht mal das.
Aber ich schweife ab. Das Thundercat Album habe ich jedenfalls noch immer nicht gefunden. Weder unter Soul, noch unter Jazz, noch unter Pop, noch unter Dance und schon gar nicht unter Indie/Alternative. Und vergessen wir nicht den Funk oder gar die Kategorie „World“! Alles was groovt und nicht unmittelbar in eine mitteleuropäischen Disco gespielt wird, weil es zu „schwarz“ ist, darf unter Funk eingeordnet werden. Alles was sich irgendwie gegen den Klang-Mainstream sperrt oder sich gar für unorthodoxe Skalen und fremdartig klingende Sounds interessiert ist unter „World“ nicht schlecht aufgehoben.
Dabei fallen vor allem Soul und Funk Ecken in Plattenläden eher klein aus. Letztere beschränkt sich meist auf eine handvoll von CDs. Der Funk scheint also tot zu sein, Ausläufer und Nachfahren dieser Spielart haben sich aber manchmal zum Jazz hinübergerettet oder wurden so klangauffällig, dass sie es in die Kategorie „World“ geschafft haben.
Diesen Unklarheiten und Unschärfen gegenüber steht vor allem die Kategorie Metal. Schon anhand des Aussehens der sich durch die CDs Wühlenden wird der Erfolg dieser Kategorie sichtbar. CDs mit unleserlichen Schriften und martialischen Covern können außerdem gar nicht falsch eingeordnet werden. Ab einem gewissen Level von „Gain“ am Gitarrenverstärker und einer bestimmten Anzahl von Palm-Mute-Akkorden zu denen laut gebrüllt wird besteht darüber hinaus kein Zweifel mehr am Metal-Sein der Musik.
Oh ihr glücklichen Metaller und überglücklichen Pop-Rock-Hörer! Auch ihr Pop-Rocker wisst, was ihr bekommt. Nicht zu viele Akkorde und nicht außerhalb von Dur- und Moll und den üblichen Tonleitern und schon seid ihr glücklich und bekommt genau das, was ihr euch erwartet. Notfalls wird etwas zu komplexe Musik schon von euch ferngehalten und in die verpönte Jazz-Ecke abgeschoben.
Manches landet auch in der Kategorie „World“. Und zwar dann, wenn sich die Musik so gar nicht an die lange eingehämmerten Hör-Konventionen der Format-Radios der westlichen Welt halten möchten. Von der Kategorie „World“ hat es noch kaum jemand zu „Pop-Rock“ zurückgeschafft, auch wenn die Musiker reumütig ihr Vergehen eingesehen haben.
Die Vibration meines Smartphones riss mich aus den Gedanken. Ich war zu einem Event in die Räumlichkeit einer Innsbrucker Alternative-Institution eingeladen worden. Angekündigt wurde das Konzert als „Blackened Shoegaze“. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Auch die Thundercat-Platte hatte ich zu diesem Zeitpunkt trotz hartnäckiger Suche in sämtlichen Kategorien noch immer nicht gefunden. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, rief ich durch den Plattenladen. „Zerstört die Kategorien“, fügte ich hinzu. „Lasst die Musik frei und hört endlich zu“, wurde ich schon leiser.
Wütend verließ ich den Plattenladen. Natürlich hatte ich nicht geschrien. Aber in meinem Inneren wurden obige Parolen lauter und lauter. Ich schluckt meinen Ärger und versuchte meine Wut zu bändigen. Unverrichteter Dinge verließ ich den Laden und drückte auf „Absage“ bei der Facebook-Veranstaltung mit der Black-Shoegaze-Musik.

Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

2 Comments

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.