Sebastian Kurz ist der neue Polit-Messias

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Jetzt also Sebastian Kurz. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich die österreichische Volkspartei noch auf Reinhold Mitterlehner als Lichtgestalt mit messianischen Zügen einigen können. Als „Django“ hatte er dafür zu sorgen, der schwarzen Partei wieder zu alter, strahlender Größe und Macht zu verhelfen. Selbst junge Menschen sah man damals mit „Black is Back“ Taschen durch die Stadt laufen. Geblieben ist von dieser glanzvollen Inszenierung einer Aufbruchsstimmung nur wenig.
Kurze Zeit nach dem Rücktritt des entzauberten „Django“ läuft die „Messias-Generierungsmaschine“ schon wieder auf Hochtouren. Eigentlich tat sie das auch schon die Wochen zuvor. Sebastian Kurz ist der diesmal Auserwählte. Er ziert sich noch, was aber in den Augen der Messias-Macher nur umso mehr zeigt, dass er der Richtige ist. Schließlich würde ein Messias niemals selbst zugeben, dass er es ist und dass er leibhaftig dazu bereit wäre, für das Gute, Wahre und Schöne in den Ring zu steigen und einer in die Jahre gekommenen Partei noch einmal zur absoluten Mehrheit zu verhelfen.
Man könnte an sich annehmen, dass eine politische Partei ein lernendes System sei. Ein Blick auf die Weltpolitik würde zeigen, dass Zuspitzungen auf einzelne Personen als Retter problematisch sind und nur eine beschränkte Lebensdauer aufweisen. So erwies sich etwa Barack Obama zwar als brillanter Redner und Mensch mit hervorragendem Musikgeschmack, aber zuweilen auch als Kriegstreiber. Politisch waren ihm, dem Erretter aus der Not, zu oft die Hände gebunden. Er ist, zumindest teilweise, an den politischen Strukturen und den fehlenden Mehrheiten gescheitert.
Die Logik der ÖVP ist daher so zwingend wie unlogisch. Sebastian Kurz soll der ÖVP zu einem überwältigenden Wahlsieg verhelfen. Er soll sich, wenn schon nicht als Vizekanzler und Parteiobmann in Personalunion wie Mitterlehner, so zumindest als Obmann der Partei zur Verfügung stellen. Er sei die Zukunft, hört man unisono von Ministern der Partei und von den mächtigen Landeshauptleuten.
Exakt diese Leute sind es, die die Heiligsprechung von Kurz vorantreiben und die Erwartungen ins Unrealistische hochschrauben. Kurz soll einer Partei vorstehen, die per se gar nicht mehr existiert, sondern sich in Partikularinteressen und Bünde aufdröseln lässt. Selbst Mitterlehner sprach bei seiner emotionalen Abschiedsrede die Struktur-Frage an, die in den letzten Jahren zahlreiche Obmänner der Partei verschliss.
Hinter all diesen Strategien der Überhöhung und Zuspitzung stehen zwei ganz konkrete Denkmuster. Zum einen ist es der Glaube an das Genie einer einzelnen Person. Ähnlich der romantischen Vorstellung eines Schöpfer- und Dichter-Genies schreibt man einzelnen Menschen die Fähigkeit zu, sich über Zeitgeist, Umfeld und Kontext zu erheben. Zweifellos haben diese Genies auch Einflüsse und sind nicht völlig frei und zusammenhanglos in der jeweiligen Zeit und Welt zu verorten.
Sie sind aber, dank ihrer genialen Fertigkeiten und Fähigkeiten, dazu in der Lage etwas zu schaffen, das über die Summe der einzelnen Teile hinausgeht. In genialen Momenten kappen sie ihre Einflüsse, überschreiten ihre Bedingtheiten und schaffen originär-großartiges, das sich nicht aus der Zeit und aus dem Umfeld heraus erklären lässt.
Neben den postmodernen Überresten eines romantischen Genie-Kultes geht die ÖVP auch in die ganz weltliche und gegenwärtige Falle der medialen Polit-Wirklichkeit. Nicht der leise Fädenzieher im Hintergrund gewinnt Wahlen, sondern derjenige, der geschickt im Vordergrund steht und sich, am besten täglich, in Szene zu setzen weiß. Nicht derjenige mit leiser, subtiler Meinung wird Spitzenkandidat, sondern derjenige, dessen Aussagen anschlussfähig, diskursrelevant und massentauglich sind.
Kurz ist ein Meister der Selbst-Inszenierung und der diskursiven Anstöße, die den Massengeschmack treffen. Er ist jung, agil und politisch unverschämt genug, seine Freiheiten in der ÖVP vehement einzufordern. Er hat die Partei in der Hand, weil sich diese von ihrem Messias abhängig wähnt. Die daraus entstehenden Möglichkeiten und die Option, dass Sebastian Kurz gar ein kompetenter Vizekanzler mit dem Namen Harald Mahrer zur Seite gestellt wird, sind auf alle Fälle wünschenswert. Eine erneuerte, wendigere und modernere Volkspartei könnte der österreichischen Polit-Landschaft nur gut tun.
Es darf indes an den messianischen Eigenschaften von Sebastian Kurz gezweifelt werden. Nicht weil er nicht tatsächlich ein begabter Politiker von europäischem Format wäre. Nicht weil er nicht tatsächlich politisch geschickt und womöglich dank der Zugeständnisse seiner Partei relativ frei agieren könnte. Das Problem wird vielmehr sein, dass er die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllen können wird. Weil sie schlicht unerfüllbar sind. Weil sich kein Mensch und erst recht kein Politiker über die Umständen und Strukturen hinwegsetzen kann.
Die Strukturen der ÖVP haben die vorherigen Obmänner zermürbt und frustriert zurückgelassen. Es gibt keinen Anlass zu glauben, dass es Sebastian Kurz anders gehen wird. Womöglich wird er sich, aufgrund der einige Monate anhaltenden parteiinternen Heiligsprechungen, länger im Sattel halten können als seine Vorgänger. Er wird aber scheitern, weil die falschen Fragen gestellt wurden und die eigentlich zu führende Diskussion außen vor gelassen wurde.
Man müsste über Strukturen reden, über den mächtigen, allzu mächtigen Einfluss der Landesfürsten. Die ÖVP wird nicht dazu bereit sein, daran dauerhaft etwas zu ändern. Vielmehr wird man Sebastian Kurz temporär Zugeständnisse machen um ihn als Partei-Lichtgestalt für die für ihn vorgesehene Rolle gefügig zu machen. Die Demontage und Aushöhlung dieser Sonderrechte werden aber nicht lange auf sich warten lassen. Die Strukturen der Partei werden selbst ein politisches Talent wie Kurz in die Knie zwingen.

Titelbild: (c) Franz Johann Morgenbesser, flickr.com

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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