Ich wär‘ so gerne furchtbar g‘scheit

Selbstzweifel und die Glorifizierung sogenannter Experten.

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Photo by Lisa Delaval on Unsplash

Immer wieder sitze ich an meinem Schreibtisch. Platte aus Nussholz. Gestell aus Metall. Ich schaue aus dem Fenster. Runter auf die Stadt, die mir an manchen Tagen zum Greifen nahe, an anderen unglaublich fern vorkommt. Während meine Blicke schweifen, folgen ihnen die Gedanken. Wie gerne würde ich mehr von der Welt verstehen – denke ich dann. Einfach verstehen, was dort unten, da draußen, gerade so passiert.

Es gibt sie, die Menschen, die sich ins Fernsehstudio, an die Regierungsbank oder vor den Computer setzen und bis ins Detail erklären können, warum die Welt gerade läuft, wie sie es eben tut. Manch einer ist Spezialist in seinem Fachgebiet, meinetwegen Virologe, Volkswirt, Börsenkenner oder Politikwissenschaftler. Andere nennen sich Philosophen, Zukunftsforscher oder schlicht Intellektuelle.

Ich höre diesen Leuten gerne zu. Manchmal. Es gibt auch Tage, an denen ich nichts wissen möchte. Überhaupt nichts. Weder, warum mein Steak das eine Mal genau richtig und das andere Mal einfach nur trocken ist, noch ob eine Tracking-App demokratiegefährdend und Quarantänekonzerte unbedingt zu vermeiden sind oder die Welt ohnehin bald untergeht. Da interessiert mich nichts, außer was es am Abend zum Essen gibt. Essen muss schließlich jeder.

An anderen Tagen bin ich der neugierigste Mensch, den man sich überhaupt nur vorstellen kann. Da sauge ich die Informationen und Meinungen auf, wie feuchtes Moos den einzelnen Regentropfen. Und ich bewundere sie. Die Gescheiten. Für ihr Wissen. Für ihre Fähigkeit, Muster zu erkennen, deren Ursprung zu benennen und dann auch noch Handlungsempfehlungen zu formulieren.

Ich sehe sie nicht. Weder vor meinem Inneren, noch vor meinem tatsächlichen Auge gibt es jene unsichtbaren Fäden, die gezogen werden und unser Tun beeinflussen. Ich erkenne keine allgemeinen Muster, denen die Menschen folgen. Keine Tendenzen, keine Folgewirkungen. Ich würde mich nie trauen, unserem Zeitalter einen Namen zu geben und es dadurch einzuordnen. Leben wir in der freien Welt, so frei, wie sie es noch nie war? Oder sind wir durch den steten Fortschritt und dem unbändigen Verlangen nach Wachstum geknechteter denn je?

Wenn ich ehrlich bin, bin ich mir nicht einmal sicher, ob wir uns gerade in einer Zeit des Umbruchs oder des Stillstands befinden. Geht’s zurück zum Biedermeier? Stecken wir im Ultra-Realismus der Echtzeitdaten oder in einer Hyper-Romantik der kollektiven Neurosen? Keine Ahnung. KEINE AHNUNG!

Da ist er wieder. Er kommt immer. Unweigerlich. Dieser Punkt an dem mehr und mehr neue Fragen, jedoch keine Antworten mehr auftauchen. Dann klappe ich den Laptop zu, lege die Zeitung beiseite und schalte den Fernseher aus. Dann will ich nicht mehr wissen was gerade rund um mich herum passiert, wie es morgen weitergeht und mein Leben weiterleben. Das muss schließlich jeder. Zumindest das weiß ich!

Glaubt an das Gute im Menschen. Eigentlich Betriebswirt. Hat das ALPENFEUILLETON ursprünglich ins Leben gerufen und alle vier Neustarts selbst miterlebt. Auch in Phase vier aktiv mit dabei und fleißig am Schreiben.

1 Comment

  1. Solange du aus dem „mir ist alles wurscht, was gibt’s heut zum Essen“-Modus immer wieder rauskommst, ist noch nicht alles verloren. Und eine Meinung äußern, obwohl man nicht restlos über alles Bescheid weiß, ist kein Unfug, wenn man sich die eines anderen, der ebenfalls nicht alles, aber anders gewichtet, Bescheid weiß, anhört und vielleicht im Gespräch miteinander auf etwas draufkommt, was keiner von beiden vorher wusste oder bedachte.

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