Unterirdisches

Tunnel sind gerade in aller Munde.

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Foto von Snowscat auf Unsplash
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Da soll in Tirol der Fernpass für Millionen durch einen Tunnel um ein paar Kurven bereinigt werden, vermutlich damit auch große Transporte leichter durchkommen. Dafür wird es sich dann weiterhin in den Gemeinden stauen, und dafür bezahlen dürfen die Anrainer auch noch. Das Gesamtverkehrskonzept ist jedoch streng geheim, das bleibt im Dunkeln irgendeiner Schublade gebunkert. Denn dem Volk ist so etwas Komplexes nicht zuzumuten.

In den Palästinensergebieten haben die dortigen Terrorregimes — denn als solche gebärdeten sich Hamas und Hisbollah gegenüber der eigenen Bevölkerung über Jahrzehnte — Tunnelsysteme gebaut, um ihre Gewaltherrschaft abzusichern. Oberirdisch fuhren Tag für Tag hunderte LKWs mit Hilfsladungen ins Land, damit die Bevölkerung nicht verhungerte, unterirdisch legten die Herrschenden mit einem Großteil der internationalen Hilfsgelder Waffenlager und Fluchtkanäle für den Eigengebrauch an. Und nun leidet ein weiteres Mal die Bevölkerung, wenn dieser doppelte Boden unter ihren Häusern von den Israelis gesprengt wird. Die palästinensischen Herrschaftseliten jedoch haben derweil durch die Tunnel längst mitsamt dem gestohlenen Volksvermögen das Weite gesucht.

Überhaupt lieben Autokraten und Diktatoren Tunnelsysteme. Hitler hatte seinen Führerbunker. Stalin ließ unter allen größeren Städten sogenannte „Zwillingsstädte“ errichten – mitsamt Infrastruktur, Verkehrswegen, Kommunikationszentralen, kurzum allem, was die Machthaber und ihre Entourage zum Überleben brauchten. Jeder wusste davon, doch kein Unbefugter aus dem niederen Volk durfte sie sehen oder gar betreten. Diese Tunnelsysteme existieren bis heute, und Putin und Gefolge haben sich zusätzlich sicherlich neue Unterstände gebaut, um selbst einen von ihnen vom Zaun gebrochenen Atomschlag kommod überstehen zu können.

Auch hierzulande bauen manche sich im Kopf Zwillingsstädte, von denen sie dann behaupten, das seien reale Gebilde, und erklären die oberirdische, für alle sichtbare Welt zum Fake. Und dann graben sie sich in ihren unterirdischen Bunkern ein und weigern sich, jemals wieder an die Oberfläche zu kommen. Dort leben sie nun, abgeschirmt von allem offenen Diskurs, ausschließlich unter ihresgleichen vor sich hin und meinen, damit jeder drohenden Katastrophe zu entkommen. Dabei übersehen sie, dass sie sich (in einer echten Krise!) nicht lange von der oberirdischen Realität werden abschotten können. Bunker sichern das Überleben leider nur sehr begrenzt.

In halbwegs funktionierenden Demokratien läuft aber gottlob das Leben der allermeisten noch oberirdisch ab (oder sollte das zumindest). Die Führungskräfte sind dadurch ebenso ungeschützt und verwundbar wie das Volk, das sie vertreten. Diese offene Sichtbarkeit der Herrschaft, auch Transparenz genannt, ist zwar ein wunder Punkt im Kriegsfall, wie wir ihn gerade erleben. Und dennoch: Unsere Politiker können keine Entscheidungen treffen, welche nur ihrer eigenen Rettung dienen und auf Kosten der Bürger gehen. Vielleicht sind Transparenz und das Fehlen von Tunnelsystemen überhaupt Definitionsmerkmale einer funktionierenden Demokratie?

Wenn sich dann nur auch der Umgang miteinander nicht ganz so unterirdisch gestaltete …

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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